Zweite Etappe
Wir sind am Schrannenplatz, dem ehemaligen „Judenkirchhof“ angekommen. An dem bereits um 1340 als „coemeterium Judaeorum“ bezeichneten Platz befand sich ab 1407 die neue Synagoge des zweiten Jüdischen Viertels. Schräg gegenüber der Schranne an Hausnummer 15 befindet sich in etwa drei Metern Höhe die heute verblasste Inschrift „Judenkirchhof“ – eine einst verwendete christliche Bezeichnung für eine jüdischen Friedhof.
Ab etwa 1410 hatten die Juden immer höhere Steuern zu leisten und als 1435 das Zinsnahmeverbot für Christen aufgehoben wurde verarmte die jüdische Bevölkerung zusehends. Religiöse Repressalien und die Hetzreden des fanatischen Predigers Johannes Teuschlein veranlassten die Flucht der Rothenburger Juden. Nach der Plünderung der Synagoge 1520 verließen auch die sechs verbliebenen jüdischen Familien die Stadt.
Der Friedhof wurde nunmehr als christlicher Friedhof genutzt, bei einer Erweiterung wurden die letzten jüdischen Grabsteine entfernt und an einen heute unbekannten Ort gebracht. Die Synagoge erhielt einen Ostchor und wurde zur „Kapelle zur reinen Maria“ umgewidmet. 1561 wurde die Kapelle abgebrochen und als Baumaterial für die Friedhofskirche vor dem Rödertor verwendet.
Die Glasfenster im Ostchor der St.-Jakobs-Kirche enthalten einige versteckte Hinweise auf christlich-jüdische Beziehungen. Am besten lassen sich diese bei vormittäglichem Sonnenschein im südlichen Glasfenster erkennen: Das um 1390/1400 gefertigte Kunstwerk erzählt von der Speisung des Volkes Israel mit Manna vom Himmel. Auf halber Höhe findet sich ein gemaltes gotisches Kirchengewölbe, das bis in den Himmel hinaufragt. Unter einer bestirnten blauen Decke und gemusterten Seitenwänden stehen die Israeliten, die wie Juden im Mittelalter mit Judenhüten gekleidet und mit Hakennasen typisiert sind. Trotz der klischeehaften Darstellung scheinen sich in dem kirchlichen Glasfenster Toleranz und Distanz die Waage zu halten. Fünf Engel werfen den Israeliten von einem himmlischen Balkon fränkische Spitzwecken und Laugenbrezeln zu. Diese sogenannte typologische Darstellung vereinnahmt und verengt einerseits den Sinn der biblischen Mannaerzählung. Andererseits dürfen die Israeliten innerhalb der Kirche ihre Hüte aufbehalten, ohne zum christlichen Glauben konvertieren zu müssen.
Das Herzstück der Judaica-Sammlung des Reichsstadtmuseums sind 30 der insgesamt 47 erhaltenen mittelalterlichen jüdischen Grabsteine aus der Zeit von 1266 bis 1395. Aus Rothenburg stammt auch das Siegeltypar der jüdischen Gemeinde Rothenburgs von 1410, eine Backofen-Krücke und ein Chanukkaleuchter aus Eisenblech. Darüber hinaus sind wertvolle Ritualgegenstände zu sehen, die aus dem Kunsthandel zugekauft wurden.
Zwölf Bildtafeln zeigen die Rothenburger Passion. Besonders das Bild Ecce homo spiegelt die christliche Judenfeindschaft im Spätmittelalter: Juden werden als Todfeinde Jesu dargestellt; das Volk fordert mit gekreuzten Fingern den Tod Christi.
Im Burggarten erinnert ein 1998 errichtetes Denkmal an der Blasiuskapelle an das sogenannte Rintfleisch-Pogrom von 1298. Unter dem Vorwand einer angeblichen „Hostienschändung“ zogen der Metzger Rintfleisch und seine Anhänger bis nach Rothenburg und töteten nach einer dreitägigen Belagerung der Stauferburg, in der die Juden Schutz gesucht hatten, alle Männer, Frauen und Kinder. Manche Rothenburger Christen mögen ihre jüdischen Nachbarn versteckt haben, viele nutzten aber die Gelegenheit sich bei den Juden zu „entschulden“.
Die historische hebräische Inschrift des Gedenksteins lässt keinen Zweifel daran, was damals geschah:
„Mit bitterer Seele eine bittere Klage, weil wir vergaßen
die ersten Verfolger. Um ihrer zu gedenken, meißelte ich
auf eine steinerne Tafel die Märtyrer Rothenburgs ein,
die getötet und verbrannt wurden wegen der Einzigkeit Gottes im Jahre 58
gemäß der kleinen Zählung am 19. Tammus. Und auf der Burg außerhalb der Stadt
machten die Einwohner der Stadt ein Ende, indem sie Feuer entzündeten und töteten.
Und es endeten von uns Alt und Jung.
Am 12. des fünften Monats des sechsten Jahrtausends
hörte meine Freude auf und am dritten Tag
wird er uns in Freiheit entlassen. Dann wird kommen mein Erlöser und mein Heiliger.
Amen. Amen. Amen.“
v.l.: Ehem. Jüdischer Friedhof, Grabsteine im Rabbi Meir Gärtchen, Pogromstein 1298
Bildnachweis: Lothar Schmidt Rothenburg.
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