Die Mikwe – Rituelle Neugeburt?

Erst kürzlich erwies sich ein Tauchbecken als große Sensation: die Mikwe des Hauses in der Judengasse 10. Damit reiht sich eine der ältesten Mikwaot – so der Plural – in die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt Rothenburg ob der Tauber ein.

Erst kürzlich erwies sich ein Tauchbecken als große Sensation: die Mikwe des Hauses in der Judengasse 10. Damit reiht sich eine der ältesten Mikwaot – so der Plural – in die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt Rothenburg ob der Tauber ein.

Was ist ein Judenbad?

Die Mikwe folgt regelmäßig der gleichen Bauweise. Sieben Stufen führen in ein mit mindestens 500 Litern Wasser gefülltes Becken. Dabei muss es sich um „lebendiges“ Wasser handeln. Das bedeutet, es muss ausschließlich Wasser natürlichen Ursprungs genutzt werden. Es darf nicht transportiert oder anderweitig zur Mikwe gebracht werden. Als Folge kommen nur fließendes Wasser sowie Grund- und gesammeltes Regenwasser in Betracht.

Für den Bau einer Mikwe werden in der Regel Schächte ausgegraben, die teilweise bis zu 20 Meter tief sind, um das Grundwasser oder eine natürliche Wasserquelle zu erreichen. Zudem werden Mauerwerke als Stützen und Treppen angelegt, um die Schwankungen des Wasserspiegels ausgleichen zu können.

Eine spezielle Form ist die sogenannte Kellermikwe. Bereits im 14. Jahrhundert wurden Juden häufig gesonderte Wohnviertel zugewiesen. Um weiterhin die jüdische Tradition aufrecht erhalten zu können, wurden die Mikwen in versteckten Lagen im Keller eines Wohnhauses in Form von engen Schächten errichtet. Auf Grundwasserhöhe wurde ein Tauchbad ausgehoben, in der Regel nicht größer als eine Badewanne.

Auch die  Mikwe in der Judengasse 10 befindet sich im Kellergewölbedes historischen Hauses in Rothenburg. Dabei handelt es sich um das einzige jüdische Ritualbad aus dem Mittelalter, die in ganz Deutschland gemeinsam mit dem dazugehörenden Haus erhalten ist.

Ein Bad nach jüdischem Ritual

Das mit Wasser gefüllte Becken dient ritueller Reinheit. In der jüdischen Geschichte wird derjenige, der mit einem Toten in Berührung kommt, unrein. Körperflüssigkeiten oder die Menstruation der Frau bewirken eine ebensolche Unreinheit. Das regelmäßige Zusammenkommen in der Mikwe ist daher ein fester Bestandteil jüdischen Lebens.

Von dieser Unreinheit gilt es sich zu befreien. Beim Besuch der Mikwe folgt der Eintauchende den Stufen in das Wasser. Schmuck, Lippenstift, Nagellack und jegliche Art der Bekleidung sind abzulegen, um der Rechtmäßigkeit der Zeremonie zu entsprechen. Es ist wichtig, dass der gesamte Körper mit dem Wasser in Kontakt kommt und mitsamt Haaren untergetaucht wird.

Ein Ritualbad für Mann und Frau

Männern ist der Besuch einer Mikwe ebenso wie Frauen vorgeschrieben. Für Frauen ist das Eintauchen in das Ritualbad nach jeder Monatsblutung Pflicht, bevor sie wieder mit ihrem Mann schlafen dürfen. Damit ist das rituelle Tauchbad nicht nur sehr privat, sondern für gläubige Juden auch essenziell im Rahmen der ehelichen Beziehung.

Das Untertauchen in der Mikwe ist immer nur einer Person gestattet und Männer und Frauen gehen niemals in das gleiche Bad. Zur Bezeugung der ordnungsgemäßen Durchführung ist jeweils für Frauen eine weibliche, für Männer eine männliche außenstehende Person anwesend, welche den Tauchvorgang beobachtet und gegebenenfalls segnet.

Kinder gehen normalerweise nicht in die Mikwe, allerdings wird dies je nach Tradition unterschiedlich gehandhabt. In streng gläubigen jüdischen Familien geht ein Junge erstmals vor seine Bar Mitswa, ein Mädchen vor ihrer Bat Mitswa in die Mikwe.

Der Besuch einer Mikwe hat für viele Juden eine tiefe und spirituelle Bedeutung. Manche erhoffen sich durch das heilige Wasser die Heilung einer Krankheit oder die Linderung etwaigen Leidens, andere wollen ihre Seele von Sünden reinwaschen. Es geht um eine rituelle Reinigung von allem Schlechten. Nicht nur Menschen werden gereinigt, sondern auch neu gekaufte Gegenstände, wobei für diese Art der Reinigung je nach Auslegung oft kochendes Wasser in einem großen Kessel ausreichend ist.

Die jüdische Gemeinde

In heutiger Zeit sind die Mikwaot modern beheizte Badeanlagen. In den über 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt es nahezu 30 davon, teilweise haben auch neu errichtete Synagogen ein entsprechendes Tauchbad.

In der jüdischen Geschichte gehörte zu jeder Gemeinde ein rituelles Wasserbecken. Es lassen sich allein in Deutschland an über 400 Stellen Überreste oder noch erhaltene Mikwaot nachweisen. Einer der ältesten ist die Mikwe in der Judengasse 10 in Rothenburg ob der Tauber.

Das Judenbad in Friedberg – weitere Traditionsbäder

Eine Besonderheit stellt die Mikwe in Friedberg/Hessen dar. Sie ist die größte vollständig erhaltene Mikwe in Europa. Wie bei der Judengasse 10 liegen auch die Wurzeln dieses jüdischen Ritualbads im Mittelalter.

Der bis auf das Grundwasser führende Schacht befindet sich in dem Innenhof eines Vorderhauses in der Friedberger Altstadt, wo eine jüdische Gemeinde bereits seit 1241 nachgewiesen ist. Die Mikwe sticht insbesondere wegen ihrer architektonischen Bauweise hervor und ist seit 1903 ein geschütztes Kulturdenkmal.

Um den rituellen Vorgaben einer Mikwe zu entsprechen und das „lebendige“ Grundwasser zu erreichen, musste ein 25 Meter tiefer Schacht gegraben werden; das Wasser steht dort 5 Meter tief. Das Judenbad in Friedberg ist durch ein Tonnengewölbe geschlossen und durch eine dort ausgesparte Öffnung vom Tageslicht durchflutet.

Weitere jüdische Traditionsbäder

In Speyer bestand in mittelalterlicher Zeit eine besonders große jüdische Gemeinde. Auch dort ist heute noch eine Mikwe aus dieser Epoche zu bestaunen. Das Judenbad stammt aus dem 12. Jahrhundert und befand sich in einer Synagoge, deren Überreste noch heute besichtigt werden können.

Aus derselben Zeit stammt die Mikwe in Worms – ebenfalls unter einer Synagoge erbaut. Weitere mehrere Jahrhunderte alte jüdische Tauchbäder gibt es außerdem in Andernach, Erfurt, Köln, Sonderhause und Petershagen zu besichtigen.

Helfen Sie, diesen Teil der Geschichte zu erhalten

Die Mikwe in Rothenburg ob der Tauber gehört laut aktuellen archäologischen Untersuchungen ebenfalls zu den ältesten, noch sichtbaren jüdischen Tauchbädern Deutschlands. Kulturerbe Bayern wird das Ritualbad gemeinsam mit dem dazugehörenden Haus Judengasse 10 Instand setzen und auf Dauer als lebendig genutzten Ort erhalten. Die Mikwe wird in eine Ausstellung zum jüdischen Leben in Rothenburg eingebunden und seine spezielle Geschichte damit erlebbar gemacht werden. Unterstützen Sie Kulturerbe Bayern dabei – mit Ihrer Spende, einer Gebäudepatenschaft oder als Volunteer.

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